Auf meinem Schreibtisch stehen die folgenden Zeilen (von Jochen Mariss):
Das Wichtigste im Leben finden wir nicht durch intensive Suche, sondern so, wie man etwa eine Muschel am Strand findet. Im Grunde findet es uns.
Ein Spruch, der mich immer wieder gefangen nimmt! Je nach Lebenssituation oder auch jeweiliger Malerfahrung stimme ich dem Ganzen zu oder setze mein inneres Fragezeichen dahinter.
Wenn wir bewusst suchen, nach etwas streben, wissen wir, welche Richtung wir einschlagen wollen. Es wird ein Weg gewählt, andere Möglichkeiten verworfen. Das Ziel im Auge übersehen wir allerdings einiges, was so am Wegrand auftaucht, möglicherweise sogar wichtig wäre. Eine schöne Muschel am Strand würden wir wohl liegen lassen oder gar zertreten, wenn wir dort gerade geschäftlich unterwegs wären …
Irgendwann ist dann gefunden oder erreicht, was erträumt, so erwartet und gewollt wurde, ob nun im Leben oder in der Malerei. Das Glück darüber hält aber oft nicht lange an …
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(aus der Serie Die versunkene Kathedrale, kleine Bildershow)
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Wenn ich dagegen nicht suche, sondern den Weg aufmerksam Schritt für Schritt gehe, fällt mir vieles einfach zu. In der Kunst entspricht diese offene Haltung der des spontanen Prozessmalens. Ich beginne zu malen und ein Schritt entwickelt sich aus dem anderen. Es gibt dabei mehrere Bildmöglichkeiten und vielleicht führt ja ein Ansatz zu mehreren Bild-Lösungen. Dabei bieten sich Umwege und überraschende Wendungen an …. Korrekturen werden notwendig … Ich entdecke dabei Neues und Ungewohntes. Und schaffe mir immer mehr neue Strukturen und Möglichkeiten.
Angefangen bei Van Gogh sind wir alle, so groß wir auch sein mögen, in einem gewissen Maße Autodidakten – man könnte fast sagen, naive Maler. Die Maler leben nicht mehr innerhalb einer Tradition, und so muss jeder von uns alle seine Ausdruckmöglichkeiten neu erschaffen. Jeder moderne Maler hat das vollkommene Recht, diese Sprache von A bis Z zu erfinden. Kein Kriterium kann auf ihn a priori angewandt werden, weil wir nicht mehr an strenge Maßstäbe glauben….“ (Pablo Picasso Über Kunst, Diogenes, 1988, S.12 )
Der Weg wird chaotischer, waghalsiger und das Ziel wird oft erst im Rückblick klar. Die Frage, wie weit es überhaupt Zufall und nicht doch immer wieder mal Fügung ist, möchte ich hier nur unbeantwortet in den Raum stellen …
Ich suche nicht, ich finde. (Picasso, Über Kunst, Diogenes, 1988, S.7)
Nun hängt es aber von mir ab, was ich mit dem Gefundenen anstelle. Da gibt es die schöne Geschichte, dass eine Kokusnuss auf den Kopf des Vorbeigehenden fällt. Der eine flucht laut und kickt die Nuss weit weg. Der andere hebt sie auf, schaut sie sich an, öffnet sie, trinkt daraus und nimmt die zwei Hälften als Schalen heim….. Ich kann ein Bild, das mich zu einer überraschenden Wende zwingt, das mich vom ursprünglichen Plan abbringt, einfach zerreißen oder aber ich arbeite mit dieser neuen Möglichkeit weiter…….
Ich möchte beides nicht missen: Das Finden auf der Suche und das Finden ohne Suchen. Mal gibt dann das eine, mal das andere den Ton an. Dieses Paradox und dieses Pendeln im Leben wie in der Malerei auszuhalten, ist eine Gratwanderung. Aber ich finde, es lohnt sich, diese anzunehmen.
3.09.2016 Ein später Nachtrag
Heute habe ich den ganzen Spruch von Pablo Picasso in meinen Aufzeichnungen wieder gefunden:
Ich suche nicht – ich finde.
Suchen – das ist Ausgehen von alten Beständen und ein Finden-Wollen von bereits Bekanntem im Neuem.
Finden – das ist das völlig Neue!
Das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer!
und hier geht’s inzwischen sogar noch weiter!:
Die Ungewißheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die sich im Ungeborgenen geborgen wissen, die in die Ungewißheit, in die Führerlosigkeit geführt werden, die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen, die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel bestimmen.
Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis im Außen und Innen: Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.
Bei flickriver gibt’s weitere Bilder von mir zu sehen.
Liebe Petra –
»Im Grunde findet ES uns.« steht auf Deinem Schreibtisch, wobei ich im Folgenden das ES einmal bildhaft als Gegenüber ansehe.
In Deinem Beitrag betonst Du, wenn ich es richtig verstehe, eine Haltung der generellen Offenheit den Dingen und Geschehnissen gegenüber und schreibst wohl im Hinblick auch auf Deine Malerei von einer »offenen Haltung, der des spontanen Prozessmalens« (…)
»Dabei passiert viel, weil wir mit unserer Offenheit finden ohne zu suchen« (…)
»Vorausgesetzt ich bin offen für alle oder viele Wege und Möglichkeiten. …… Ich entscheide Schritt für Schritt aus dem Augenblick heraus. Damit kann viel Neues entstehen und Überraschendes gefunden werden.«
Mir scheint nun diese »Haltung der generellen Offenheit« zu einer künstlerischen oder auch nur persönlichen Zwiesprache mit sich selbst zu führen:
Wann und Wie bemerke ich eigentlich, dass ich auf der Suche bin? Was löst meine Suche aus? Woran erkenne ich später eigentlich, dass ich das Etwas gefunden habe, so ergebnisoffen doch meine Suche auch angelegt war? Wie empfinde oder beschreibe ich für mich das Neue, das Ereignisreiche, das Problemlösende, oder das, was mich neugierig macht, mich innerlich bereichert, mich überrascht? Oder umgekehrt, wie definiere ich für mich das, was mich einengt, mich langweilt, mir so unendlich bekannt vorkommt …
Wieder anders gefragt: Wieviel an Neuem halte ich persönlich eigentlich aus, was erscheint mir als geordnet und Sicherheiten verheißend, beruhigend, vielleicht aber auch als langweilig? Was erscheint mir als chaotisch, als ungeordnet, mich unsicher machend, ja sogar Angst einflößend? Was erscheint mir dagegen als interessant und spannend … anziehend … liebenswert … informativ … auch meine Anteilnahme herausfordernd? Warum ist das alles für mich so und nicht anders?
Als eine kleine Methodik des Suchens und Findens stelle ich mir dann die Frage: Wie kann ich dem ES helfen, dass ES mich findet, ohne dass ich ES suche?
Na, wenn das keine Frage ist!?
Was kann ich also tun? – Ich nehme mir einmal verheißungsvolle Spielregeln zu Hilfe, die natürlich auch im übertragenden Sinn gelten können:
Ich verschiebe meinen Blickwinkel auf die Dinge – eine durchaus künstlerische Methode – und fotografiere beispielsweise einige Tage lang meine Umwelt stets nur aus einer Höhe von 50 cm über dem Erdboden und werte später dann diese Ergebnisse aus. – Wetten, es ist einiges durchaus Überraschendes dabei.
Ich verlangsame in einer mir interessant erscheinenden Gegend bewusst meine Fortbewegung, laufe schlicht langsamer, sagen wir einmal so ganz extrem, 20 Meter in fünf Minuten und das vielleicht erst einmal zwei Stunden lang, darauf vertrauend, dass ich tatsächlich einiges finden werde, bzw. das ES sich mir zu erkennen geben wird.
Ich begebe mich bewusst an Orte, die mir völlig fremd sind, und versuche es dort eine Zeitlang auszuhalten, ja wende vielleicht noch als Ergänzung Methode 1 und 2 an. Bin ich ganz mutig, verhalte ich mich zusätztlich noch recht ungewöhnlich. Das ES wird mir wahrscheinlich regelrecht entgegenspringen.
Der Lehrer Keating verdeutlicht uns im Film »Der Club der toten Dichter« an zwei Stellen sehr nachdrücklich diese Methodik. Zum einen lässt er seine Schüler auf die Schultische steigen, um ihnen die Notwendigkeit eines Wechsels der gewohnten Perspektiven aufzuzeigen und sie auch ausdrücklich zu ermutigen … Zum anderen spielen sie Fußball – begleitet von Beethovens Neunter … FUßBALL !!!
Nun zumindest ist es hinreißend gefilmt. – »O Captain, my Captain!«
Was aber doch wohl nottut, ist ein Anerkennen des ES, ein Achten seiner Eigenschaften und eine gewisse Erwartungshaltung … Liebe, Interesse und Aufmerksamkeit. Sonst wird man ES gar nicht als SOLCHES wahrnehmen.
Ich selbst habe einmal eine ganz persönliche Suche nach kugelrunden Steinen inmitten tausender Stücke unregelmäßigen Flintgerölls an den Stränden der dänischen Insel Møn im Kern wie folgt beschrieben: »Finde unbedingt eine erste Kugel … Diese drehst bzw. rollst Du während der weiteren Suche unablässig zwischen den Fingern der rechten Hand … und siehe da, die Kugel wird zum Lotsen und führt zur nächsten Kugel usw. … Wahrscheinlich werden spezifische Kugeleigenschaften von den Fingern ertastet und ins Wahrnehmungsfeld des Sehens übersetzt. Oder?«
Du hast es vielleicht schon bemerkt:: Ich persönlich glaube eher nicht an eine Kreativität ohne jedes Wissen, ohne jedes Studium oder auch ohne jedes Experiment hinsichtlich der bildnerischen Mittel und des »Bildnerischen Denkens«. Ich wäre beispielsweise wohl ein guter Itten-Schüler gewesen, bzw. befasste mich gern mit amerikanischer Lernpsychologie und betrachte auch Kunst immer noch eher als Prozess – des Suchens, Suchens, Suchens und des Übens, Übens, Übens …
Hallo Malerin: Für »das Finden auf der Suche, gewürzt vom Finden ohne Suchen« auf Deiner so persönlichen von Dir beschriebenen Gratwanderung wünsche ich Dir, dass jenes ES Dir oft entgegenkommt, … -springt, … -leuchtet …
Liebe Grüße …
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Lieber KH,
Dank für Deine ausführlichen, sehr persönlichen Ausführungen und für all die Fragen, die Du in den Raum stellst! Diese Zwiesprache mit sich selbst muss wohl jeder für sich selbst halten und eben Deine Fragen für sich persönlich beantworten…… Sehr anregend finde ich auch Deine Frage: Was kann ich tun, damit ich „dem Es helfe“. Über das „es“ möchte ich mich hier aber gar nicht auslassen. Auch das geht jeden persönlich etwas an…….
Dass Suchen und ein ständiges Üben (neben dem starken inneren Drang ) einen großen Teil des Malens in Anspruch nehmen, davon bin auch ich überzeugt. In meinen Ausführungen wollte ich eher die unbekümmerte, freudige Offenheit dessen ausdrücken, der noch nicht gebildet, wenn nicht verbildet ist. (Aber auch da: Bildung, Ausbildung müssen eben doch sein ……) Sozusagen den ursprünglichen Kinderblick, um den sich auch große Meister immer wieder bemühen, so als würde man alles zum ersten Mal sehen…….
Danke, KH!! Liebe Grüße von Petra
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Es ist schön, dass Du das letzte Zitat von Picasso noch vervollständigen konntest – es gefunden hast. Ich ertappe mich nun dabei, dass ich mir zwei Situationen vorstelle: Einmal vor einer leeren Leinwand stehend und einmal zu einem unbekannten Strand hinabsteigend – und dann Zeile für Zeile nachsinnend. Ja, es funktioniert – – – Es entwickelt sich eine Interpretation …
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Eine leere Leinwand, ein unbekannter Strand … was für schöne, bildhafte Beispiele ! Was für ein bereichernder Kommentar ! Danke, KH!
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