Zunge ab? oder: Sich über die eigene Kunst äußern? *

(English version below)

Der Maler Henri Matisse riet seinen Schülern: „Vor allem müssen Sie sich ihre Zunge abschneiden; denn Ihr Entschluss nimmt Ihnen jedes Recht, sich mit irgend etwas anderem als mit ihrem Pinsel auszudrücken.“ (Henri Matisse, Über Kunst) Und doch äußerte Matisse sich immer wieder selbst über Kunst und seine Malerei. Er spiegelt damit das Dilemma, in dem Künstler oft stecken: Zunge ab? – oder sich über die eigene Kunst äußern?

Diese Frage beschäftigt auch mich immer wieder …

Einerseits: Erklärungen sind hilfreich

Auf dem Poster zu meiner ersten Ausstellung „da sein“ im Antoniersaal Memmingen (2005) war mein Bild „Ansichtssache“ zu sehen. Hier ist es:

ansichtssache-2005

Die meisten Betrachter erkannten vor allem Palmen …

Doch dieses Bild sollte in das Thema der Ausstellung einführen. Es erschließt sich erst bei näherem Hinsehen, beim „da sein“. Es ist ein Kippbild, das verschieden gesehen werden kann. Erst wenn man ihm seine ganze Aufmerksamkeit schenkt, sieht man die Gesichter oder die Menschen und Tiere, die „da sind“.

Trotz der Gefahr, die im Zerreden der eigenen Bilder lauert, hatte ich mich auch entschieden, Gruppen durch die Ausstellung zu führen.. Es kamen mehr Interessierte als ich erwartet hatte!  Das Bild „Ansichtssache“ war dabei gleich das erste Bild, das ich mit den Besuchern zusammen betrachtete. Ich habe damals mehrmals mitbekommen, wie erst allmählich beim gemeinsamen Betrachten und Besprechen mehr und mehr entdeckt wurde.  Das Interesse der Leute zeigte, dass sie offen, ja dankbar für Erklärungen waren.

Andererseits: Zunge ab ! Der Betrachter ist selbst kreativ

Bilder sind bekanntlich die beste Sprache eines Malers. Warum sich noch mit Formulierungen plagen, wenn durch das Malen schon alles gesagt ist ?

Außerdem weiß auch der Maler nicht alles über seine Bildwelten. Eine Möglichkeit der Kunst ist es ja gerade, dass sie aus dem Unbewussten zum Unbewussten des Betrachters spricht. So kann etwas mitgeteilt, aufgenommen, verarbeitet und sogar geheilt werden, was gar nicht bis zum manchmal schmerzhaften Bewusstsein dringt.

Es besteht auch die große Gefahr, etwas zu zerreden und ihm das Geheimnis zu entreißen, das ebenfalls wesentlich für Kunstwerke ist. Besprochenes, Eingeordnetes kann man gut in einer Schublade ablegen und den Maler gleich mit ! Warum sich also freiwillig aufs Glatteis begeben?

Vor allem aber ist ja die Auseinandersetzung des Betrachters mit einem Kunstwerk ebenfalls ein kreativer Akt. Hier kann er seinen eigenen Weg durch Bilderwelten gehen, Eigenes finden  und Neues entdecken.

Fazit

So  liegt es letztendlich im Ermessen des einzelnen Künstlers, ob er zu seinen Bildern eine Aussage machen will. Er ist frei genug, sich nicht über seine Kunst zu äußern, wenn er das nicht will oder für überflüssig hält. Er kann auch einfach nur Fragen beantworten oder auch darauf nicht eingehen. Der Betrachter wiederum kann ja Einführungen und Erklärungen meiden und auf Audioguides verzichten, wenn er diese für sich ablehnt. Damit kommen wir allerdings zu der Frage, wie weit Erklärungen von anderen nützlich und erwünscht sind.

Nicht immer ist Reden Silber und Schweigen Gold! Ich reagiere je nach Situation unterschiedlich, auch wenn es mal daneben geht.  im Laufe der Zeit hat es sich für mich herausgestellt , dass ich ungefragt kaum noch über meine Kunst erzähle und nur auf Fragen dazu antworte. Dass auch dabei nicht zu viel gesagt wird, ist ein Übungsfeld und eine ständige Gratwanderung für mich.

(Dies ist die leicht veränderte Kopie meines gleichnamigen früheren Artikels ohne Übersetzung ins Englische)

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In English:

Tongue off? or: Talk about one’s own art?

Here’s the painter’s Henri Matisse advice for his art students:

“You’ll have to cut off your tongue first of all; for your decision doesn’t allow you any other expression than that with your paint brush.” (Henri Matisse, About Art)
But Matisse himself talks about art and his paintings again and again. In this way he reveals the dilemma artists often find themselves in: Tongue off? or: Talk about one’s own art?
This is a thought-provoking question for myself again and again…

On the one hand:  Explanations can help

The poster for my first personal show “da sein” (being here) at Antoniersaal, Memmingen (in 2005) showed my painting “A matter of sight”. Here it is:

ansichtssache-2005

Most visitors saw palm trees above all.
This painting was supposed to introduce the topic of my show, however. It only reveals itself to a visitor being absorbed in it for some time. It’s a tilted image that can be seen differently. After some time you can see that there are faces or people or animals , too.
In spite of risking to talk too much about my art I had decided to go with groups around my show. There were more people interested in it than I had expected!
The painting “A matter of sight” was the first painting I looked at together with the visitors.
Several times people told me they wouldn’t have discovered so much without our talk.
Their interest revealed that they were open, even thankful to get some information.

On the other hand: Tongue off! Let the visitor be creative and find out himself
We know that paintings are the painter’s best language. Why look for words then when everything has already been said ?
Moreover the painter himself doesn’t know everything about all the contents of his works.
Art can be a way of speaking from the artist’s subconscious to the visitor’s subconscious. So something can be expressed, accepted, digested and even healed without getting to the painful awareness of it.
There’s also the great danger to speak too much about something and to take away its secret in this way. For we can put everything we believe to know into a drawer of judgement and the artist with it!
Why walk into one’s own trap then?

Most of all, the visitor’s absorption into a work of art is a creative activity in itself. Here he can find something personal , can choose his own way through the universe of images or discover something new himself.

Conclusion

So it’s up to the artist whether he wants to say something about his paintings.
And the visitor can avoid introductions , explanations and audioguides if he doesn’t want any. But this leads to another question, i.e. how helpful explanations of others are.
It isn’t always true that speech is silver and silence is golden ! I for my part take the liberty to react differently according to the situation, even if it might turn out to be the wrong decision. My experience has taught me rather to answer questions, if I want, than to begin to speak about my art myself. It needs training and it’s a tightrope walk not to speak too much, anyhow.

(This is a slightly changed copy of my article with the same headline and topic but without a translation into English )

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