(Ich bin gerade dabei, während des (z.Zt. unterbrochenen) Frühjahrsputzes meines Blogs über die Rolle der Kontakte zu schreiben. Da passt zuerst einmal dieser frühere Artikel ganz gut rein, damals leider ohne Übersetzung! Vielleicht komme ich ja noch dazu…)
Was wäre eine Bilderausstellung ohne Besucher? Was wäre ein Bild ohne einen Betrachter?
“Kunst kann nur gelingen, wenn sie ein Gegenüber hat, das verweilt und das Auge ruhen lässt, das seine Eindrücke zu fassen und zu durchdenken sucht, das selbstbewusst und reflektierend dem Bild, der Skulptur, der Installation begegnet.”
(s.u., S.19)
Wie lange nimmt sich der Betrachter Zeit für das Bild? Was nimmt er wahr? Was spürt er? Verschafft er sich einen eigenen, persönlichen Eindruck und reflektiert er ihn ?
Der Betrachter entscheidet, wie lange er sich einem Bild oder einer Ausstellung widmet, ob er tief in die Bilderwelt, in Aufbau, Farben und Form eintaucht, ob er einen inneren Dialog beginnt, ob er sich mit eigenen entstehenden Assoziationen, Phantasien, Erinnerungen, Vorstellungen und Empfindungen auseinandersetzt oder sich voll auf das Bild konzentriert und es zu deuten sucht.
Schon das Betrachten selbst formt das Kunstwerk um, ein jeder macht sich davon sein eigenes Bild, in seinem Inneren nimmt es neue Formen und Bedeutungen an. Und das ist durchaus kein konsumistischer, sondern ein schöpferischer Akt, ein Akt der Aneignung.
(s.u. S. 185)
Gibt der Betrachter ein Feedback?
Die Frage stellt sich immer wieder, wenn der Künstler selbst anwesend ist.
Eine schwierige Frage; denn manche Künstler wollen gar kein Feedback und wollen sich auch nicht über ihr Werk äußern, andere freuen sich über einen offenen Austausch und eine Auseinandersetzung, nicht nur mit “Insidern”.
Den autoritären Regeln, wie sie heute unausgesprochen bestehen, bestimmt vor allem vom Markte, soll eine Gegenautorität erwachsen: der aufgeklärte, selbstbestimmte, urteilsfreudige Betrachter.
(s.u. S. 20)
Auch wenn er sich nicht äußert, ist der Betrachter unentbehrlich.
Er wird auf jeden Fall belohnt mit der Lust daran, etwas Neues zu entdecken und sein Sehen, seine Wahr-nehmung, sein Urteilsvermögen wie Muskeln zu trainieren und zu stärken.
Alle Zitate aus: Hanno Rautenberg, Und das ist Kunst?!, S.Fischerverlag, 2007
( Alle Fotos sind privat und aus meiner Ausstellung „Licht, Farbe, Klang“ im Antonierhaus, 2008)
Ein vielschichtiges Thema. Jedenfalls meine ich, dass Kunst eigentlich immer eine Form der Auseinandersetzung darstellt. Das beginnt beim schöpferischen Akt und setzt sich bei der Begegnung zwischen Bild und Betrachter fort. Diese Auseinandersetzung kann ein zähes Ringen sein aber auch auf sehr liebevoll-zärtliche Weise stattfinden. Aber sie wird auf jeden Fall Spuren hinterlassen. Den Dialog zwischen Künstlern und Betrachtern halte ich für sehr wertvoll, weil sie beiden Seiten neue Dimensionen des Werks erschließen kann (und dies auch tut, wenn sich die beiden Seiten darauf einlassen).
Einen möglicherweise auch nicht ganz uninteressanten Aspekt habe ich vor einigen Wochen in einem eigenen Beitrag versuchsweise umrissen:
https://randomrandomsen.wordpress.com/2015/11/29/ungemeint/
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Vielen Dank für diesen differenzierten Beitrag und auch deinen Hinweis auf deinen Artikel, der gut dazu passt und den ich mit viel Interesse gelesen habe!
Was den künstlerischen Prozess angeht, stimme ich dir zu. Meist ist das auch bei mir so.
Aber:
„Manchmal entsteht ein gelungenes Bild wie von selbst,
als ob’s ein Engel-Schlingel gemalt hätte.“
(aus einer Aufzeichnung von mir;))
Schön, solche Rückmeldungen zu bekommen, wie du sie schreibst! Herzlich, Petra
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Herzlichen Dank. :) Der Beitrag ist aus einer Diskussion auf einem WP-Blog heraus entstanden. Und ich freue mich, wenn diese Gedankengänge jetzt noch weitere Kreise ziehen. Das passt ja wunderbar zum Motto: Da sein im Netz.
Eine Sache würde mich im Zusammenhang mit der Rolle des Betrachters noch sehr interessieren. Und zwar geht es um die ‚Engel-Schlingel‘ Bilder. Ist der Dialog mit den Betrachtern bei solchen Bildern wichtiger, weil du dir gleichsam selber ein wenig die Augen reibst und das fertige Bild erst näher kennen lernen musst? Oder ist es eher umgekehrt, dass der Schaffensprozess so intensiv war, dass dir das Bild sozusagen aus dem Herzen heraus vertraut ist – so dass der Austausch mit den Betrachtern zwar wertvoll ist, aber kaum neue Facetten des Werks zutage fördert? [Vielleicht ja auch weder noch – aber ich versuche einfach, mich da ein wenig einzufühlen]
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Was für eine schöne Frage!
Eigentlich freue ich mich einfach darüber und bin dankbar und rede lieber gar nicht darüber!
Und ich freue mich, wenn ich einen Betrachter sehe, der eine ganze Weile wortlos versunken davor steht.
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Und eine schöne Antwort. :) Danke dafür.
Und auch ein interessanter Aspekt – dass die Betrachtenden ihrerseits auch wieder Betrachtete sein können (die dabei ohne zu reden manchmal sehr viel sagen).
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Die Betrachtenden als Betrachtete…ein schönes Bild und ein schöner Abschluss dieser kleinen Gedankenrunde! Herzlichen Dank dafür!
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